Begegnung mit dem Wolf

KURZGESCHICHTEN

SMW

10/27/20251 min read

Begegnung mit dem Wolf

Tief im winterlichen Wald kämpfte Elias, ein erfahrener Trapper, gegen die beißende Kälte und die wachsende Dämmerung an. Er hatte sich im Schneesturm verirrt. Plötzlich durchbrach ein Knistern in den gefrorenen Ästen die Stille.

Aus dem Schatten trat er hervor: ein riesiger, grauer Wolf, dessen Fell die Farbe des Mondlichts hatte. Seine Augen, Bernstein und durchdringend, fixierten Elias. Der Trapper erstarrte, die Hand krampfhaft um den Eispickel.

Sekunden vergingen, die sich anfühlten wie Stunden. Kein Knurren, keine Aggression – nur die pure, unbewegte Präsenz des Wildtieres. Es war keine Jagd, es war eine Begegnung.

Der Wolf trat langsam einen Schritt näher, seine Atemwolke hing kurz in der Luft. Dann, in einer unerwarteten Bewegung, drehte er den Kopf zur Seite und blickte in eine bestimmte Richtung.

Elias verstand. Der Wolf zeigte ihm den Weg.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, senkte Elias langsam seine Waffe. Er nickte dem Tier zu, ein stummer Akt des Respekts und des Verständnisses. Dann wandte er sich ab und begann, in die Richtung zu gehen, die der Wolf ihm gewiesen hatte.

Er blickte nicht zurück, aber er spürte, dass der Wolf ihn beobachtete, bis er in den Bäumen verschwunden war. Eine halbe Stunde später erreichte Elias die vertraute Spur eines alten Jagdpfades.

Er hatte nicht nur überlebt. Er hatte in den Augen eines Raubtiers etwas Archaisches gesehen – eine uralte, ungeschriebene Übereinkunft zwischen Menschen und Wildnis. Die Kälte wich einem tiefen, ehrfurchtsvollen Schauer. Er wusste, dass er dem Tod und einem unheimlichen Retter begegnet war.